Wenn Bürger:innen die Stadt gestalten
Zur Partizipation

innerhalb der Stadtplanung


Dass die Beteiligung der Bevölkerung einer Stadt zentral sein sollte, um die Stadtteilentwicklung voranzutreiben und an die Bedürfnisse der dort lebenden Menschen anzupassen, scheint erst einmal logisch zu sein – weniger logisch ist hingegen, dass partizipative Methoden der Stadtplanung noch immer mehr Seltenheit als Alltäglichkeit sind. Dabei stehen wir, insbesondere in den westlichen Hemisphären, in naher Zukunft Problemen gegenüber, die sich nur gemeinsam lösen lassen. Dazu zählt z.B. der demografische Wandel, der mittelfristig dazu führen wird, dass wir sogenannte „veraltete Stadtteile“ haben werden, deren Infrastruktur bei weitem nicht auf die Bedürfnisse der Bewohner:innen angepasst ist. Aber auch der Rückgang gewerblicher Flächen innerhalb der Städte stellt das Bauflächenmanagement vor neue Aufgaben. 

Dass die Beteiligung der Bürger:innen insbesondere bei der Entwicklung aber auch Umfunktionierung städtischer Flächen große Bedeutung haben kann, zeigt ein Beispiel aus dem Ruhrgebiet. Durch die ehemalige Zechenbrache in Gelsenkirchen beherbergte der Stadtteil Bismarck einst die Familien rund um den Bergbau. Zunehmende Arbeitslosigkeit und Abwanderung sorgten dafür, dass der Stadtteil vereinsamte. Bis die Stadt ein Programm startete: Unter Einbezug der Bewohner:innen entstand eine vollkommen neue Infrastruktur inklusive eines neuen Stadtzentrums das Einzelhandel, Dienstleistungseinrichtungen aber auch kulturelle Institutionen beherbergt. Durch die Einbindung der Bürger:innen konnte so ein Programm entwickelt werden, das sowohl die regionale Ökonomie stärkt, als auch das soziale Miteinander durch die Wiederbelebung das Stadtkerns. 

Öffentlicher Raum als Ort der Partizipation

Die Infrastruktur einer Stadt umfasst jedoch nicht nur die Konsummöglichkeiten des alltäglichen Bedarfs – auch die Nutzung des öffentlichen Raumes ist Teil der Infrastruktur und Ort bürgerlicher Partizipation.  So schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung in ihrem Beitrag „Partizipative Stadt- und Raumgestaltung“ (25. Juni 2012): „Öffentliche Räume, die für alle Bürgerinnen und Bürger nutzbar und frei zugänglich sind, haben großen Einfluss auf die Lebensqualität einer Stadt.“ Kennzeichnend für den öffentlichen Raum ist aber auch, dass er zwar der Gemeinde oder Stadt gehört und von dieser auch bewirtschaftet wird – zugleich gehört der öffentliche Raum damit aber auch der Gesellschaft und kann von allen Mitgliedern der Gemeinschaft einer Stadt genutzt werden. Freiflächen innerhalb des öffentlichen Raumes tragen so ihren Teil zur Lebensqualität einer Stadt bei. Einerseits in Bezug auf das Thema nachhaltige Städteentwicklung, denn unbebaute und begrünte Flächen sind essenziell, um dem Temperaturanstieg in den Innenstädten entgegenzuwirken und in den heißen Sommern für Abkühlung zu sorgen. Zugleich sind sie aber auch ein Ort der Kultur und damit Treffpunkt diverser Gruppen mit unterschiedlichen sozialen, aber auch kulturellen Hintergründen. Um die Nutzung des öffentlichen Raumes so bürger:innennah wie möglich zu gestalten und zugleich auch (Sub)Kultur einen Raum zu bieten, haben immer mehr Städte in den vergangenen Jahren auf partizipative Projekte für den öffentlichen Raum gesetzt. Dieses sogenannte „bürgerschaftliche Engagement“ kann in die Stadtentwicklung eine neue Form der Planungskultur integrieren und bietet so ein großes Potenzial, um nachhaltig, niederschwellig und multikulturell den öffentlichen Raum und dessen Nutzung zu gestalten. Für die Städte und Kommunen entsteht dabei ein weiterer Vorteil: Bürgerschaftliches Engagement spart Personalkosten. Dieses ersparte Geld könnte dann also für die Projekte, die bei der Planung entstehen, genutzt werden.  Eines der wohl bekanntesten und spektakulärsten Projekte, in denen bürgerschaftliches Engagement durch partizipative Methoden den öffentlichen Raum durch einen weiteren Ort der Begegnung bereichert hat, ist die Tempelhofer Freiheit in Berlin. Der stillgelegte Flughafen konnte sich seit seiner Wiederöffnung im Mai 2012 zu einem Ort für Familien entwickeln – und das nicht zuletzt, weil bei der Planung die lokale Bevölkerung miteinbezogen wurde, welche u.a. Ideenwerkstätten, Fachdiskussionen, Ausstellungen und Veranstaltungen organisierte. Insgesamt sollen mehr als 1300 Ideen an politische Träger:innen weitergegeben worden sein – aus diesem Pool wurden letztendlich vier Themenschwerpunkte aufgegriffen: Grün- und Freiflächen, Sport(angebote) und Bewegung, Kultur- und Kreativwirtschaft sowie Wohnen. So konnte bis heute die 355 Hektar große Fläche mit Leben gefüllt werden – durch oder gerade wegen der Partizipation der dort lebenden Menschen. 

Einfach mal die Perspektive wechseln?

In einem Themendossier von 2021 fordert auch die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung die zunehmende Partizipation bürgerlicher Perspektiven in die Stadtplanung. In „Stadt(t)räume gestalten: kooperative und partizipative Stadtentwicklung“ fordern die Autor:innen eine neue Fokussierung bei der Gestaltung (neuer) Bildungs- und Lernorte, um dem akuten Bedarf an Schul- und Kitaplätzen endlich gerecht werden zu können – auch oder gerade durch die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Heidelberg spielt hier eine Vorreiterrolle. 2021 wurden erstmals die „Leitlinien für mitgestaltende Bürgerbeteiligung in der Stadt Heidelberg“ veröffentlicht, gefolgt von einem Grundlagenpapier zur Kinder- und Jugendbeteiligung.  Lisa Kipphan, tätig bei der Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung der Stadt Heidelberg, sieht hier auch eine klare Haltung der Städte gegenüber jungen Menschen: Ist die Perspektive von Kindern und Jugendlichen auf die Entwicklung städtischer Projekte bedeutend? Heidelberg beantwortet diese Frage klar mit einem Ja.

Auch ein Blick in unser Nachbarland zeigt, welche Bedeutung die Partizipation von Bürger:innen für die städtische Entwicklung hat. Seit 2016 ist der „Masterplan für partizipative Stadtentwicklung“ der Stadt Wien durch einen Beschluss des Gemeinderates bindend. Insgesamt sieht dieser fünf Kriterien vor, bei denen die Partizipation der Bürger:innen verpflichtend ist: der Bau von mindestens 300 Wohneinheiten oder 30.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche, beim Bau von Hochhäusern, bei Projekten innerhalb der Kernzone des Weltkulturerbes, bei der Umwandlung von Grünland in Bauland und wenn ein städtebauliches Vorhaben eine strategische Umweltprüfung benötigt. 

Die Partizipation der Bewohner:innen in die Stadtplanung ist also längst keine Utopie mehr, Lösungsvorschläge und bereits erfolgreich gelaufene Projekte gibt es genug. Die Frage danach, wessen Interessen im städtischen Bau zukünftig eine Rolle spielen werden, bleibt aber weiterhin offen.

Elisabeth Jockers


Der Post entstand im Rahmen eines forschungsorientierten Studienprojekt im Sommersemester 2023. Das Beitragsfoto ist gemeinfrei.