Influencerinnen: Zwischen Authentizität und Selbstdarstellung

Alessa Heimburger

Was zuvor nur Prominenten oder Teilnehmenden einer Reality Show vorbehalten war, ist nun im virtuellen Raum für jeden möglich: Die mediale Selbstinszenierung. Wohingegen in Reality Shows durch bestimmte Schnitte oder Skripts der Produktionsfirma gewünschte Szenen und Bilder erzeugt werden, inszeniert sich im Social Media Bereich das Individum vermeintlich selbst.

Ist das virtuelle Ich eine Repräsentation des „realen Ichs“? Eine Fälschung? Eine Kopie? Und wenn es die Zweispaltung zwischen „virtuellen“ und „realem“ Ich gibt, was ist dann überhaupt das „reale Ich“?

Mit dem Aufkommen von Social Media Kanälen entstand die Idee einer Zweispaltung zwischen virtuellem und realem Ich. Diese Zweispaltung führte zur Frage der Authentizität. Ist das virtuelle Ich eine Repräsentation des „realen Ichs“? Eine Fälschung? Eine Kopie? Und wenn es diese Zweispaltung zwischen „virtuellen“ und „realem“ Ich gibt, was ist dann überhaupt das „reale Ich“? Diese Fragen spiegeln sich in den Diskussionen um Influencerinnen wider. So gehören die Wörter Authentizität und Influencerinnen zusammen wie Pfeffer und Salz. Fast jede Influencerin betont authentisch zu sein. Authentizität ist ein Qualitätsmerkmal. Und auch im öffentlichen Diskurs wird Influencerinnen zum Teil „authentisch sein“ als ihr Erfolgsmerkmal zugesprochen oder die fehlende Authentizität als Kritik geäußert.

Was bedeutet Authentizität überhaupt?

Nach der Linguistin Karin Wetschanow trat die latinisierte Form von authentisch sein im Mittelalter vor allen Dingen in Verbindung mit dem Substantiv authoritas (Autorität) auf. Als „facultas authenticnadi“ wurde Personen der Status verliehen sich für die Echtheit von Reliquien verbürgen zu können. Im Rechtswesen wurde das Wort „authenticum“ für die gerichtlich anerkannte Beweiskraft eines Dokumentes verwendet. Die Bezeichnung authentisch diente zur Einordnung von Dingen und Produkten als Originale. Darauf basiert die Gleichsetzung von Authentizität als Qualitätsmerkmal. Original Reliquien sind wertvoller als Fälschungen oder Kopien. Die Verwendung des Adjektivs authentisch bezogen auf Identität zeugt davon, dass Identität zum Produkt, zu etwas Klassifizierbarem und Wertmessbarem gemacht wird. Die eigene Identität wird zum Produkt, zur Marke. Diese Entwicklung ist besonders dominant bei Influencerinnen zu beobachten.

„Unternehmen Masha“ und Co

Persönlichkeit wird als wirtschaftliches Kapital angesehen. Grundbedingung dafür ist die Idee von Authentizität. Denn Authentizität impliziert ein Bestehen einer „richtigen“, „wahren“ und einer „falschen“, „unechten“ Identität.

Die Influencerin Franziska Elea hat große Vorbehalte aus Sorge der Imagebeschädigung bei der Dokumentation des Journalistinnenkollektiv „Kollektiv Y“ mitzumachen. Sie muss darauf achten, dass sie als Marke nicht beschädigt wird. Masha Sedgwick bezeichnet ihre Arbeit im Interview bei dem Podcast Hotel Matze als „Unternehmen Masha“. Diese Selbstbezeichnung als Marke oder Unternehmen zeugen davon, dass Persönlichkeit als wirtschaftliches Kapital angesehen wird. Grundbedingung dafür ist die Idee von Authentizität. Denn Authentizität impliziert ein Bestehen einer „richtigen“, „wahren“ und einer „falschen“, „unechten“ Identität. Es geht einher mit dem Glauben an einen inneren Persönlichkeitskern, der in jedem Menschen besteht, aber nicht immer zum Vorschein kommt. Das macht es wiederrum zur Lebensaufgabe diesen inneren Kern zum Vorschein zu bringen. Authentizität wird dadurch zu etwas, das man erreichen kann. Selbstentfaltung und Selbstfindung bilden hierbei Schlagwörter, auf denen ein gesamter Wirtschaftszweig von Selbsthilferatgebern, Achtsamkeitstrainings etc. aufbaut.

Welche Rolle spielen Influencerinnen in diesem Wirtschaftszweig?

Influencerinnen erschaffen durch vermeintliche Entblößung ihres Privatleben einen Resonanzraum. Sie lassen teilhaben an ihrem Leben. Beispielsweise liest sich die Sparte Sonntagsgedanken im Blog von Masha Sedgwick wie ein öffentliches Tagebuch. Durch diese vermeintliche Teilhabe fungieren sie für ihre Follower umso stärker als Vorbilder, Inspiration und Orientierung. Durch die Inszenierung alltäglicher Situation in ihren Posts und durch die Möglichkeit durch Kommentare oder Direct Messages mit Influencerinnen zu kommunizieren, wirken sie nahbar. Daher bieten sie eine „nähere“ Identifikationsmöglichkeit als zum Beispiel „Weltstars“. Das Ganze bekommt allerdings einen faden Beigeschmack, wenn man bedenkt, dass das Antworten auf Kommentare sich im Algorithmus positiv auf die Generierung von Followern auswirkt.

Woher kommt dieses Bedürfnis nach Einblicken in das Private?

Die Soziologin Eva Illouz beschreibt eine Verschiebung von der Konnotation des Öffentlichen (der polis/Gemeinschaft) als „das Gute“ zum Privaten als „das Gute“. Influencerinnen dienen durch die Entblößung ihres Alltages als Orientierung zur Gestaltung des Privaten. Zudem bieten sie durch „Anhängerschaft“ einen neuen Raum für Gemeinschaft, der im öffentlichen Raum zu fehlen scheint und sich in die virtuelle Welt verlagert hat. Hierbei könnte man allerdings auch kritisch anmerken, dass bei der Plattform Instagram eine Zweiteilung zwischen „Folgenden“ und „Gefolgten“ herrscht. Dahin gegen beruhen bei Facebook Freundschaftsanfragen auf Gegenseitigkeit: Beide sind miteinander befreundet, wenn man eine Anfrage an jemanden stellt und der- oder diejenige sie bestätigt. Bei Instagram kann man jedoch jemanden folgen, ohne dass der- oder diejenige einem selber folgt. Dies ermöglicht überhaupt einen „Fanhype“ und eine messbare „Anhängerschaft“ bei privaten Profilen (auf Facebook war dies nur durch gesondert erstellte Seiten möglich und messbar durch die Anzahl der Likes dieser Seiten).
Die Idealisierung des Privaten als „das Gute“ lässt sich auch in den Instagramprofilen der Influencerinnen erkennen. Das Paar- und das Familienideal sind Bilder und Werte, die gerne von Influencerinnen aufgegriffen werden. So findet man auf den Instagramprofilen von Bibi, Masha Sedgwick, Franziska Elea, Roxi Strasser etc., Pärchenbilder untermalt mit öffentlichen Liebesbekundungen.

Interessant ist dabei das sich das Private mit Werbungen und Anzeigen vermischt. So werden auf ihren Profilen Pärchenbilder mit Werbeposts verbunden. Dabei wird suggeriert, dass das schöne Leben mit dem Kauf der richtigen Produkte erreicht werden kann.

Influencerinnen – die neuen Vorbilder?

Auch Musiker*innen, Schauspieler*innen, Autor*innen oder Künstler*innen halten eine Vorbildfunktion inne. Und auch bei ihnen werden „Persönlichkeiten vermarktet“. Aber im Gegensatz zu Kultur- und Kunstschaffenden werden Influencerinnen vor allen Dingen in ihren Anfängen nicht vornehmlich für ihr Produkt (ihren Blog, ihre Bilder, ihre Zitate) bezahlt, sondern für die Werbung, die in Verknüpfung mit eben diesen steht. Masha Sedgwick bezeichnet ihre Bilder als Kunstform. Ohne die Werbeposts unter den Bildern würden sich diese allerdings nicht finanzieren. Zum Vergleich Musikerinnen wie die Band Annenmaykantereit werden für die Kunstform, die sie produzieren, also für ihre Musik, ihre Konzerte und ihre Alben bezahlt.**

Instagram Profile als neue Werbeplakate

Werbung verfolgt als Ziel Konsum und arbeitet dabei mit Mangel. Mangel ist die Grundbedingung für Werbung – das Produkt füllt eine generierte Lücke. Werbung baut darauf auf, dass sich Menschen nicht schön genug, nicht jung genug, nicht aktiv genug etc. fühlen.

Bei Influencerinnen hingegen ist immer die Ebene der Werbung zwischen Produkt und Geld geschaltet. Natürlich können Influencerinnen sich mit steigendem Bekanntheitsgrad vermehrt aussuchen, für was sie werben und auch ihre eigenen Produkte entwerfen wie Bibi beispielsweise ihre eigene Beautylinie herausgebracht hat. Aber dennoch läuft die Bezahlung vor allen Dingen in ihren Anfängen über Werbung. Das bedeutet das Influencerinnen sich nicht von der Arbeitsweise von Werbung emanzipieren können. Werbung verfolgt als Ziel Konsum und arbeitet dabei mit Mangel. Mangel ist die Grundbedingung für Werbung – das Produkt füllt eine generierte Lücke. Werbung baut darauf auf, dass sich Menschen nicht schön genug, nicht jung genug, nicht aktiv genug etc. fühlen.

Influencerinnen sind dabei nicht nur die Werbefigur, sondern generieren durch ihre inszenierte Perfektion den Mangel, den die Werbung benötigt. Gepaart mit Werbepost füllt dann der Konsum die Lücke des Mangels. Daher funktioniert Werbung in Verbindung mit Instagramposts auch so gut. Dies wird beispielweise in den perfekt returschierten Bildern Masha Sedgwicks sichtbar. Das erzeugte, glatte Schönheitsideal führt zu einem Gefühl von Mangel, da es im wahren Leben unerreichbar ist. Dieser Mechanismus lässt sich auch auf andere Bereiche übertragen. Bibi zum Beispiel inszeniert ein dauerharmonisches Familienideal.

Natürlich gibt es auch Posts, die „ehrlich“ über schlechte Zeiten sprechen. Bezeichnend ist allerdings das diese vorrangig in Vergangenheitsform geschrieben sind und meistens die Narrative von „what does not kill you makes you stronger“ verfolgen. Sie weiten die oben erwähnte Alltagsnähe aus, indem sie vermitteln: „Perfektion gibt es nicht – ich bin auch nicht perfekt und daher bin ich wie du.“ Doch auch Posts über schlechte Zeiten sind dem Selbstmarketing zuträglich. Denn Idealbilder aus Werbungen sind zwar unerreichbar, müssen aber den Anschein erwecken erreichbar zu sein, ansonsten würde Werbung sich selbst entlarven.

Doch who to blame? The girls in the mirror? Influencerinnen?

Franziska Elea beschreibt die Stunden in denen sie sich nicht in ihr Instagramprofil einloggen konnte und sie fälschlicherweise dachte ihr Profil sei gelöscht, als die schlimmsten Stunden in ihrem Leben. Sie bezieht sich darauf, wieviel Zeit in ihrem Profil steckt und dass sie ihr Studium abgebrochen hat. Instagram sei jetzt ihr Job und daher auch ihr „Leben“. Diese Aussage zeigt, dass Influencerinnen selbst betroffen sind von der Angst, die das kapitalistische System, für das sie werben, schafft: Die Angst vor dem finanziellen und damit auch dem sozialen Abstieg.

Anmerkung: In meinen Essay fokussiere ich mich auf weibliche Influencerinnen. Die Profile und Interviews männlicher Influencer waren kein Teil meiner Betrachtung. Daher ist das Wort Influencerinnen auch lediglich in der weiblichen Form geschrieben. Zudem muss beachtet werden, dass der Begriff Influencerin vielfältig ist. In meinem Essay fokussiere ich mich auf das „Massenphänomen Influencerin“. Unter diesem Massenphänomen gibt es auch viele andere Formen des „Influencing“, die nicht unter die obige Beschreibung fallen.

*Ich schreibe hier vermeintlich, weil der Einfluss von Werbung und der Druck massentauglich zu sein, meiner Ansicht nach die „eigene“ Inszenierung beeinflussen.
** Obwohl es auch hier durch Plattformen wie Youtube, Netflix und Spotify, zunehmend Probleme bei der Finanzierung von Kunst und Kultur gibt.

Fotos: © Alessa Heimburger



Mitschnitt ihres Beitrags zum Symposium „Digitalisierung mitdenken – mitgestalten“
mit Poetry Slam zum Thema dieses Blogs